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Wie man sich beim persönlichen Klimaschutz nichts vormacht

Wie man sich beim persönlichen Klimaschutz nichts vormacht

Sind Sie umweltbewusst? Dann hätte Sie der Artikel "Das können Sie persönlich gegen den Klimawandel tun" vielleicht von den Socken gehauen. Gnadenlos legt Carolin Wahnbaeck in der SPIEGEL-Story den Finger in die Wunde: Viele umweltbewusste Menschen in Deutschland haben einen größeren CO2-Fußabdruck als der Bevölkerungsdurchschnitt! Zum Glück zeigt sie, wie man seinen CO2-Fußabdruck gut in den Griff bekommen kann.

Wer beispielsweise "Bio" einkauft, wenig Fleisch ist und viel Bahn fährt, ist sich positiver Effekte bewusst. Das ist wunderbar und richtig. Wir wollen nachhaltige Wirkung. Uns selbst etwas vormachen aber wollen wir gewiss nicht! Schauen wir uns das Ganze genauer an:

Wieso sind die CO2-Fußabdrücke dennoch häufig so überdimensional?

Aufgedeckt hat es das Umweltbundesamt (UBA). In einer repräsentativen Studie wurden CO2-Fußabdrücke in Deutschland untersucht und ein erstaunliches Phänomen entdeckt: Unter uns leben "klimabesorgte Klimasünder" – ich fürchte selbst manchmal, zu dieser Spezies zu gehören. Michael Bilharz vom UBA erklärt, dass es zu einer Selbsttäuschung bei umweltbewussten Menschen kommen kann:

"Während die Menschen 'bio' kaufen, weniger Fleisch essen und Fahrrad fahren, unterschätzen sie den CO2-Ausstoß durch ihre Fernreisen, ihre schlecht isolierte Wohnung und ihr Auto. Und das sind leider klimatechnisch die Big Points."

CO2 ist eben keine Meinungsfrage, sondern wird unmittelbar physisch durch verschiedene Dinge, die wir tun oder lassen, chemisch freigesetzt. Bilharz rechnet nüchtern vor, was dabei die großen Brocken sind, und wir können es nüchtern mit dem CO2-Rechner des UBA nachrechnen.

Je höher das Einkommen, desto höher der Umweltverbrauch

Die kalte Statistik des UBA weist nach, dass mit dem Einkommen der Umweltverbrauch steigt. Mit diesem Zusammenhang lassen sich große CO2-Fußabdrücke leicht erklären:

Viele umweltbewusste Menschen sind Akademiker, die gut verdienen und meist weltoffen sind. Das Einkommen reicht leicht für eine größere Wohnung und wundervolle, weltweite Reisen aus.

Ein Zahlenbeispiel: Angenommen, jemand fliegt über den "Großen Teich" und besucht alte WG-Freunde in New York, dann verursacht dieser Flug vier Tonnen CO2. Die selbe Person wohnt vielleicht in einer schlecht gedämmten 130 m2-Altbauwohnung, die mit 4,6 Tonnen CO2 pro Jahr zu Buche schlägt. So kann es schnell passieren, dass der eigene Fußabdruck über dem Bundesdurchschnitt von 11 Tonnen CO2 pro Jahr liegt. Das Blöde daran ist die Wahrheit: Um die Erderwärmung unter 2 Grad halten zu können, dürfen wir Deutschen pro Nase jährlich maximal eine Tonne CO2 verursachen.

Wie kriegen wir unseren CO2-Fußabdruck in den Griff?

Zum Glück hat Michael Bilharz eine Alternative zum Verzicht entwickelt, denn Verzicht allein wirkt sehr abschreckend und ausgesprochen unattraktiv. Klar, wer nie wieder fliegt, in ein tiny house im Passivhausstandard zieht und auch im Winter zur Arbeit radelt, dem gelingt ein klimafreundliches Leben auf Anhieb gut.

Wie ein klimafreundlicher Lebensstil ohne massive Verzichte möglich ist, hat sich der CO2-Experte des Umweltbundesamtes ausgedacht. Dafür sind drei Dinge wichtig:

  • die größten Posten angehen
  • politisch sein
  • kompensieren

Wir finden diese größten Brocken besonders spannend.

Die wichtigsten CO2-Posten zuerst angehen
– Investments in erneuerbare Energien wirken

Windrad

Die wichtigsten Stellschrauben sind die Wohnfläche, der Dämmstandard, die Fernreisen und das Auto. Bilharz empfiehlt, dabei nicht nur auf sich selbst zu achten. Wir können ebenso in unserer Umgebung Klimaschutz anstoßen und dabei oft sogar einen noch größeren Hebel umlegen:

"Wer kein Passivenergiehaus hat, kann in erneuerbare Energien investieren: 10.000 Euro für Windkraft erspart der Umwelt rund elf Tonnen CO2 – genau der eigene Jahresausstoß."

Mit unserer Geldanlage können wir also unmittelbar Verantwortung für den Klimaschutz übernehmen.

"Wer weniger Geld hat, eröffnet ein Sparbuch bei einer Ökobank: 1000 Euro vermeiden rund 0,2 Tonnen CO2 im Vergleich zu konventionellen Banken."

Mieter können ihre Vermieter zur energetischen Sanierung animieren. Unterstützung dafür gibt es im Netz etwa bei co2online.de. Statt einem eigenen Auto empfiehlt Bilharz 'teilen statt besitzen'. Für Carsharing empfiehlt er Organisationen wie Cambio, car2go oder DriveNow.

Von Flugreisen rät Bilharz ab. Auch mit der Bahn können wundervolle Urlaubsziele erreicht werden. Und wenn es dann noch mal mit dem Flugzeug sein muss, kann man die schlechtere Klimabilanz mit erneuerbaren Energien als Geldanlage ausgleichen.

Für das Klima kleinere Posten ebenfalls beachten

Für die Klimabilanz eines einzelnen Menschen sind Fleischkonsum, Biolebensmittel oder Öko-Kleidung kleine Posten. Für das Klima lohnt es sich aber, auch diese zu beachten.

In Deutschland waren beispielsweise Ackerbau und insbesondere Viehzucht laut dem Umweltbundesamt 2016 für über 7 Prozent der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich – weltweit sind es hierbei mehr als 10 Prozent. Hier können wir gemeinsam Großes bewegen. Wenn die Mehrheit der Menschen ihren Fleischkonsum deutlich reduziert und mehr Bio isst, dann ist das Klimaproblem der Landwirtschaft fast schon gelöst.

Das wirkt sich auch positiv auf das Grundwasser, die Böden und die Artenvielfalt aus. Um den Klimawandel zu stoppen, brauchen wir "Sowohl-als-auch"-Lösungen – nur so sind wir schnell genug, vom Menschen verursachte Klima-Probleme abzubremsen.

"Ohne engagierte Bürger und öffentlichen Druck gibt es keine Umweltschutzgesetze."

Auch politisch gibt es viele Wege, sich für das Klima einzusetzen: grüne Volksabstimmungen, Fahrrad-Demos, einer Umweltorganisation beitreten oder mit einer Petition Druck für die gute Sache machen, z.B. über openpetition.de oder das Petitionsportal des Bundestags.

Kompensieren wirkt und ist billiger als man denkt

Anbieter wie Atmosfair oder myclimate sind seriös. Mit ihnen kann nicht nur ein Flug kompensiert werden, sondern der gesamte jährliche CO2-Ausstoß. Das kostet weniger als man vielleicht denkt. Laut Bilharz kosten elf Tonnen CO2 rund 250 Euro und sind steuerlich absetzbar. Das sind 68 Cent am Tag. Mit dem Geld wird an anderer Stelle der CO2-Ausstoß effektiv gesenkt. Als einen Freifahrtschein für ungebremsten CO2-Konsum will er die Kompensation freilich nicht verstanden wissen.

Wir finden diese Überlegungen sehr hilfreich, denn wir wollen uns nichts vormachen. Und wir wollen selbstwirksam sein. Den Einsatz auf politischer Ebene und eine klare Priorität auf die größten Posten finden wir klug. Vielen Dank für die Anregungen. Falsch aber wäre es, wenn wir dabei kleinere Posten aus den Augen verlieren würden. Denn um den Klimawandel zu stoppen, brauchen wir in allen Bereichen eine konsequente Wende, an der alle mitwirken können.

Kilian Rüfer

Geschrieben von Kilian Rüfer

Kilian Rüfer setzt sich dafür ein, dass Finanzhebel von destruktiv auf konstruktiv gestellt werden. Der gelernte Mediengestalter und Ingenieur für erneuerbare Energien ist Energieblogger und betreibt die Kommunikationsagentur SUSTAINMENT.